Ein überzeugter und überzeugender Europäer – 14 Aachen-Botschafter/innen erlebten ihn bei der RWTH hautnah

19. Mai 2015

Am Ende gab es Gänsehautfeeling im Krönungssaal. Peter Maffay sang für seinen Freund Martin Schulz „Über sieben Brücken musst Du geh’n“. Da war der Präsident des Europäischen Parlaments schon mit der golden leuchtenden Karlspreismedaille dekoriert und lächelte erleichtert. Als Junge stand Schulz mit seiner Mutter auf dem Marktplatz, wenn von der Treppe des Aachener Ratshauses die Karlspreisträger winkten. Sein Vater, ein Polizist, war an diesem Tag im Einsatz. Heute, am Himmelfahrtstag 2015, winkt Martin Schulz selbst von der historischen Treppe aus den Aachenern zu. Das Karlspreisdirektorium um Sprecher Dr. Jürgen Linden und Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp ehrte Schulz im Krönungssaal des Aachener Rathauses „in Würdigung seiner bedeutenden Verdienste um die Stärkung des Parlaments und der demokratischen Legitimation in der EU“.

Große Resonanz in Politik und Medien
Die Stifter des Karlspreises haben 1950 sicherlich nicht gedacht, dass je ein Preisträger aus Aachens Nachbarstadt Würselen kommt. Dass die Verleihung an Martin Schulz besonders viele Staatsoberhäupter, Präsidenten, Könige, Regierungschefs, Minister, Botschafter und Generalkonsule nach Aachen lockt, sicherlich genauso wenig. Der neue Karlspreisträger genießt hohes Ansehen. Alleine acht Staatsoberhäupter machten ihm im Krönungssaal die Aufwartung: Bundespräsident Joachim Gauck, der französische Staatspräsident François Hollande, der jordanische König Abdullah II. ibn al-Hussein, König Felipe VI. von Spanien, der finnische Präsident Sauli Niinistö, Petro Poroshenko, Staatspräsident der Ukraine, die litauische Präsidentin und Karlspreisträgerin Dalia Grybauskaité sowie die Bundespräsidentin der Schweiz, Simonetta Sommaruga.

Führungsriege der EU in Aachen
Neben Grybauskaité saßen die Karlspreisträger Jean-Claude Juncker (2006), Donald Tusk (2010) und Herman Van Rompuy (2014), Pat Cox (2004) und Javier Solana de Madariaga (2007) auf dem Podium. „Mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz und allen Ehrengästen haben wir fast die komplette Führungsriege der Europäischen Union zu Gast in Aachen“, freute sich Oberbürgermeister Marcel Philipp. Insgesamt nahmen rund 1.000 Gäste an den Feierlichkeiten im Krönungssaal teil, die mit mehr als 120 akkreditierten Journalisten von einem außergewöhnlich hohen Medieninteresse begleitet waren.

Flüchtlingen Schutz und Perspektiven bieten
Ein Riesengemurmel rauscht kurz nach elf durch den voll besetzten Krönungssaal, als die letzten Gäste ihre Plätze suchten. Händeschütteln, freundliches Kopfnicken, herzliche Umarmungen, freudiges Winken und Gäste im Sonntagsstaat, die das Programm der Karlspreisverleihung als Fächer nutzen. Es ist sehr warm unter den Fernsehscheinwerfern im strahlend erleuchteten Krönungssaal. Draußen lacht die Sonne. Fahnen wehen und viele verfolgen die Verleihung vor der großen Videowand auf dem Aachener Marktplatz. Dann erklingen dunkel und tief die ersten Töne von Beethovens Ouvertüre zu Egmont. Die Blicke richten sich jetzt auf Martin Schulz, der auf dem Podium Platz nimmt.

Oberbürgermeister Marcel Philipp ergreift das Wort und geht nach der obligatorischen Begrüßung der zahlreichen Festgäste direkt in „medias res“. Angesichts der Erfahrung in Europa mit „Gewaltherrschaft, Krieg, Vertreibung, der Verlust der Existenzgrundlagen und der Angst vor Ermordung“, mahnte Oberbürgermeister Marcel Philipp bei der Begrüßung im Krönungssaal, „sollten wir uns weniger mit abwehrender Furcht als vielmehr mit gelebter Menschlichkeit und mit positiver Entschlossenheit“ um Flüchtlinge kümmern. Es gelte, Leben zu retten, Schutz und Zuflucht und „sogar Perspektiven für den weiteren Lebensweg innerhalb der Grenzen der EU“ zu bieten. Eine faire Verteilung dieser Aufgabe auf alle Partner sei wichtig. Aus „Willkommen“ dürfe nicht werden „Willkommen, aber nicht bei mir“.

Ein überzeugter und überzeugender Europäer: Streitbar, sichtbar, hörbar
Mit der zunehmenden Terrorgefahr, Kriegen „direkt vor der Haustür der Europäischen Union“, dem Absturz der Beziehungen zu Russland, der zunehmenden Globalisierung vieler Lebensbereiche und der organisierten Kriminalität brauche man „eine Europäische Union mit Gestaltungswillen und Gestaltungskraft“. Martin Schulz habe erkannt, so Philipp, dass die Bestimmung von Spitzenkandidaten für die Europawahl eine große Chance für das Europäische Parlament sei. Er habe darauf bestanden, dass nur der Wahlsieger als neuer Präsident der Kommission akzeptiert und somit „Europas demokratische Legitimation gestärkt“ werde. So zeichne man „einen überzeugten und überzeugenden Europäer aus, der streitbar, sichtbar und hörbar für eine starke demokratische Union eintritt, die gemeinsam die Kraft aufbringt, die schwierigen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.“

Ein Mann, der Probleme nicht weg-beschwichtigt
Es spreche für das Karlspreisdirektorium, so Bundespräsident Joachim Gauck, dass es gerade jetzt „in einer Phase der Zweifel an der Europäischen Union und der Selbstzweifel vieler Europäer“ Martin Schulz ehre, „einen Kämpfer für die Idee der europäischen Demokratie, einen Mann, der sagt, was ist, einen, der Probleme nicht weg-beschwichtigt.“ Die Idee „einer Wertegemeinschaft, in der Staaten ihre Souveränität teilen, um den Frieden zu erhalten“, stehe zurzeit in einer neuen Konkurrenz zu einem „Rückzug auf nationale Antworten“. Man erlebe eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa. „Vor den Toren unserer Union sprechen die Waffen“, so der Bundespräsident, „ob in Libyen oder im Irak, in Syrien oder in der Ukraine“. Europa müsse sich jetzt, wo es um die Bedrohung seiner Friedensordnung und Sicherheit gehe, als handlungs- und verteidigungsfähig erweisen. Solange die Bürger Europas sich scheuten, mehr nationale Souveränität abzugeben, würden die Nationalstaaten gemeinsam mit Brüssel verpflichtet sein, den Europagedanken zu verteidigen und mit Leben zu füllen. Es wäre wünschenswert, so Gauck, dass sich jeder Patriot heute auch als Europäer fühle.

Bindeglied zwischen Heimat und Europa
Aus Paris ist François Hollande angereist, um aber nicht alles zu sagen, was er über den Preisträger wisse, wie der französische Präsident schmunzelnd am Anfang seiner Rede bemerkt. Hollande würdigt Schulz, der die Idee Europa und die deutsch-französische Freundschaft voranbringe. Jeder spüre hier in Aachen, der Stadt Karls des Großen, „den Geist der Anfänge und Ursprünge“. Nach den Kriegen im vergangenen Jahrhundert hätte der europäische Gedanke für alle Zeiten verschwinden können. Man solle denen danken, die mit ihrer Klarheit den europäischen Gedanken weiterverfolgt haben. Dass Martin Schulz in dieser Grenzregion geboren sei, sei ja fast etwas wie eine Bestimmung, so Hollande mit Blick auf die Karriere, die der Buchhändler später in Europa gemacht hat. Dabei sei er immer Bindeglied zwischen seiner Heimatregion und Europa geblieben. Auch das deutsche Wort „Spitzenkandidatenprozess“ verwendete Hollande und lobte die Hartnäckigkeit und Entschlossenheit, mit der Schulz die Aufstellung von Spitzenkandidaten bei der vergangenen Europawahl vorangetrieben habe. Bevor er Schulz umarmte, rief der den Karlspreisträger noch dazu auf, „zusammen mit uns“ sein Lebenswerk für ein „Europa mit Strahlkraft“ zu vollenden.

Isolierung, Mauern und Misstrauen sind keine Antwort
„Mein Freund“, begrüßte der jordanische König Abdullah II. ibn al-Hussein, Martin Schulz zu Beginn seiner Laudatio. Isolierung, Mauern und Misstrauen seien keine Antwort auf die Gefahren, denen Europa, der Mittlere Osten und Nordafrika gemeinsam gegenüberständen. Wie Europa es gezeigt und Martin Schulz bestätigt habe, bräuchten Frieden und Wohlstand Miteinander, Partnerschaft und gegenseitige Achtung. „Hass- und Gewaltideologien“ heizten die Islamfeindlichkeit an und spielten gewalttätigen Extremisten in die Hände. Man wolle den weltweiten interreligiösen Dialog stärken. Auch bei der Abwehr des Terrorismus müsse man international agieren. In der arabischen Welt machten junge Menschen 65 Prozent der Bevölkerung aus. Fehlende Arbeit und fehlende Hoffnung machten junge Menschen zu Zielen für Radikale. Wirtschaftliche Zusammenarbeit, sei der Schlüssel – auch für junge Europäer – um Arbeitsplätze, gute Zukunftsaussichten, gefestigte Gemeinschaften und ein erfülltes Leben aufzubauen.

Die große Stimme Martin Schulz
König Abdullah II. dankte Schulz für die Unterstützung des europäischen Parlaments und sein persönliches Engagement für Entwicklung. Europa spiele eine entscheidende Rolle und könne eine starke Botschaft vermitteln: „Sicherheit gibt es nur mit Frieden – und diesen Frieden gibt es nur mit Achtung und Miteinander. Diese Botschaft ist die besondere Macht des Europäischen Parlaments mit seinen Millionen Stimmen und seiner großen Stimme Martin Schulz.“ Schulz bescheinigte er zum Abschluss seiner Rede eine „herausragende Leistung“, die in herausfordernden Zeiten die ganze Welt lehre „im Dialog und in gegenseitiger Achtung voranzuschreiten.“

Ein Kind der Region: Tief berührt, demütig und ein wenig stolz
„Ich bin tief berührt, demütig und auch ein wenig stolz, als Kind dieser Region diese wichtige Auszeichnung der Aachener Bürger verliehen zu bekommen.“ So begann Martin Schulz, der seinen beruflichen Weg einst als Buchhändler begonnen hatte, sichtlich bewegt seine Dankesrede.
Als Bürger einer Grenzregion sei man ja „so etwas wie ein Instinkteuropäer“ und habe besonders intensiv erlebt, „wie einengend Grenzen sind und wie befreiend es ist, sie zu öffnen.“ Heute mache er sich sorgen, dass sich die Menschen immer mehr von Europa entfremdeten und sich im „Haus Europa“ nicht mehr wohlfühlen. Für Schulz ist daher klar, dass die EU verständlicher und leistungsfähiger werden müsse, um die großartige Idee von Europa voranzubringen. Seine Zeit als Bürgermeister von Aachens Nachbarstadt Würselen habe in ihm die feste Überzeugung reifen lassen, „dass Politik ein menschliches Gesicht braucht, dass Politik greifbar und begreifbar sein muss“.

Er sei daher als Präsident des Europaparlamentes angetreten, „die Türen und Fenster des Hauses Europa zu öffnen“, verständlich zu machen, „wer, was, wann, wo und warum macht“, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Dieses Ziel verfolge er gemeinsam mit den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission, den Karlspreisträgern Donald Tusk und Jean-Claude Juncker, die in Aachen bei der Preisverleihung an Schulz dabei waren. Schulz warnte vor einem „Rückzug in die nationalstaatliche Idylle als Insel der Glückseligen“. Mit simplen Antworten, wie „die Grenzen schließen“ oder „den Euro abschaffen“, könne man die hochkomplexen Probleme der Welt im 21. Jahrhundert nicht lösen.
Wenn wir uns in unsere Einzelteile zerlegen …

„Wenn wir uns in unsere Einzelteile zerlegen“, so der neue Karlspreisträger, „dann versinkt Europa in der Bedeutungslosigkeit.“ Europa sei eine starke Gemeinschaft, die ihren Bürgern Rechte garantiere für die in anderen Teilen der Welt Menschen auf die Straße gingen. Daher sei es angebracht, mutig darauf zu bestehen, dass „unsere Rechte und unsere Standards“ respektiert würden. Es sei „seit der Aufklärung die größtes zivilisatorische Errungenschaft unseres Kontinents“, dass die Gründergeneration Europas Interessen so untrennbar miteinander verknüpft habe, „dass Krieg unmöglich wurde und wir gemeinsam Herausforderungen begegnen können.“

Dass vor der Europawahl 2014 erstmals Spitzenkandidaten mit Programmen in die Wahl gezogen seien und der Kommissionspräsident Ergebnis einer demokratischen Wahl sei, mache Europa verstehbarer und gebe ihm ein vertrauteres Gesicht. „Das Europäische Parlament wird sich dieses hart erstrittene Recht von niemandem wieder nehmen lassen.“

Das europäische Gemeinwohl maximieren
An die Regierungschefs appellierte Schulz, nicht länger Misserfolge und ungelöste Probleme Brüssel in die Schuhe zu schieben, Erfolge aber auf die „eigene nationale Fahne“ zu schreiben. Genau das trage zur Entfremdung der Menschen von der EU bei. Europa brauche endlich wieder „eine auf Langfristigkeit angelegte Politik“. Es gelte das „europäische Gemeinwohl“ zu maximieren. Man habe das „großartige“ europäische Haus von den Eltern geerbt. „Es ist ein wenig in die Jahre gekommen. Deshalb: Lasst es uns erneuern, damit es in seinem Glanz erstrahlt.“

Ein streitlustiger Mensch mit Blick für Recht und Gerechtigkeit
Klare Worte hatte schon beim Gottesdienst am Morgen im Aachener Dom Bischof Heinrich Mussinghoff gefunden. In der ehemaligen Pfalzkapelle von Karl dem Großen forderte er „den Blick auf das Gemeinwohl aller in Europa“. Die Wirtschaftskrise sei eine „gemeinsame Angelegenheit aller Staaten Europas“. Auch Jugendarbeitslosigkeit und Friedenssicherung sei Angelegenheit aller Europäer. Es gebe genug zu tun in Europa. Deshalb sei es gut, dass Schulz ein „streitlustiger Mensch“ sei, der einen Blick für Recht und Gerechtigkeit hat und auch kleine menschliche Dinge sieht.“
————————————–

Zitate und Fakten in Kürze
Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, wurde  am 14. Mai 2015, mit dem „Internationalen Karlspreis zu Aachen“ ausgezeichnet, in Würdigung seiner bedeutenden Verdienste um die Stärkung des Parlaments und der demokratischen Legitimation in der EU.
Acht Staatsoberhäupter und weitere nationale und internationale politische Prominenz machten dem neuen Karlspreisträger im Krönungssaal des Aachener Rathauses ihre Aufwartung.
Heute werde ein „überzeugter und überzeugender Europäer“ ausgezeichnet, so Oberbürgermeister Marcel Philipp, „der streitbar, sichtbar und hörbar für eine starke demokratische Europäische Union eintritt.“
Es spreche für das Karlspreisdirektorium, so Bundespräsident Joachim Gauck, dass es gerade jetzt „einen Kämpfer für die Idee der europäischen Demokratie“ ehre, „einen Mann, der sagt, was ist, einen, der Probleme nicht weg-beschwichtigt.“ Solange die Bürger Europas sich scheuten, mehr nationale Souveränität abzugeben, müssten die Nationalstaaten selbst den Europagedanken verteidigen.
Der jordanische König Abdullah II. ibn al-Hussein warb für eine enge Zusammenarbeit: „Sicherheit gibt es nur mit Frieden – und diesen Frieden gibt es nur mit Achtung und Miteinander. Diese Botschaft ist die besondere Macht des Europäischen Parlaments mit seinen Millionen Stimmen und seiner großen Stimme Martin Schulz.“

Es sei gut, so Aachens Bischof Heinrich Mussinghoff, dass Schulz ein „streitlustiger Mensch“ sei, „der einen Blick für Recht und Gerechtigkeit hat und auch kleine menschliche Dinge sieht.“
„Über sieben Brücken musst Du geh’n“, sang Peter Maffay, begleitet vom Sinfonieorchester Aachen, im Krönungssaal für seinen Freund Martin Schulz und sorgte für Gänsehautfeeling.
François Hollande lobte die Hartnäckigkeit von Martin Schulz im „Spitzenkandidatenprozess“ und rief ihn auf, sein Lebenswerk für ein Europa mit Strahlkraft „mit uns“ zu vollenden.

Gender-Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten daher gleichermaßen für alle Geschlechter.